Was denkst du denn?

Was denkst du denn?

Der Mit- und Nachdenkpodcast

Eindeutig mehrdeutig

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Was steckt eigentlich hinter dem Wort "Ambiguitätstoleranz"? Warum müssen wir das üben und wo hat diese Form der Toleranz auch ihre Grenzen? An zwei aktuellen Beispielen schauen wir auf das Phänomen und seine realen Auswirkungen. Es geht ums Aushalten von Widersprüchlichkeit, leben unter sich ständig wandelnden Bedingungen, aber auch um Leiden und bisweilen auch Zynismus. Denn wir alle dulden Widersprüchlichkeiten, die bei anderen Menschen Leid erzeugen.

Ganz konkret stellt uns der Umgang mit der Pandemie gerade täglich vor eben diese Herausforderung: Ambiguitäten auszuhalten. Wir sehen ständig bei anderen ein Verhalten, das wir persönlich so nicht richtig finden. Gleichzeitig handeln wir aber auch mit uns selber aus, wo wir uns Freiheiten erlauben, obwohl wir wissen, dass es eigentlich besser wäre, das zu lassen. Wir entscheiden das alle hoch individuell. Und das sorgt für Spannungen, aber eben auch die Notwendigkeit, dieses Verhalten bei anderen zu tolerieren. Im Rahmen dessen natürlich, was tolerabel ist. Auch Toleranz hat schließlich ihre Grenzen.

Das andere Beispiel ist die Dokumentation über 100 Menschen, die Teil der katholischen Kirche sind und sich geoutet haben, nicht dem Bild zu entsprechen, das die katholische Kirche nunmal von Menschen hat. Homosexuelle, Trans- und Interpersonen haben unter "Wie Gott uns schuf" von ihrem Leid erzählt, innerhalb der Religionsgemeinschaft anders zu sein als das von ihnen erwartet wird. #ComingOutInChurch zeigt deutlich, wie leidensfähig Menschen sind, wenn es um Ambiguität geht. Und das ist erst einmal eine Phänomenbeschreibung. Denn natürlich ist das im Ergebnis eben nicht gut.

Und wenn wir auf das Leid schauen, das durch Amts- und Würdenträger:innen der katholischen Kirche in der Welt verbreitet wurde und wird, dann kommen wir auch schnell in den Bereich des Zynismus, wenn von "Ambiguitätstoleranz" die Rede ist. Gar nicht so einfach, das alles in seiner Komplexität zu verbalisieren. Wir versuchen es trotzdem.

Ritas Literaturliste:

  • Abplanalp, Esther et al.: Beraten in der Sozialen Arbeit. Eine Verortung zentraler Beratungsanforderungen. Kap. 7: Widerstand in Veränderungsprozessen. Bern 2020, S. 131-154.
  • Baethge, Christopher: Amerika, Blicke. Über den Umgang mit Ambivalenz. In: Merkur, 58. Jahrgang, Heft 660. April 2004, S. 316-324.
  • Bauer, Thomas: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. 2., durchgesehene Auflage. Stuttgart 2018.
  • De Beauvoir, Simone: Für eine Moral der Doppelsinnigkeit. In: Dies.: Soll man de Sade verbrennen? Reinbek bei Hamburg 1983. [Original 1947]
  • Frenkel-Brunswik, Else: Intolerance of ambiguity as an emotional and perceptual personality variable. In: Journal of Personality 18. 1949. S. 108–143. Abrufbar unter https://doi.org/10.1111/j.1467-6494.1949.tb01236.x (Datum des letzten Abrufs: 26.01.2022)
  • Merleau-Ponty, Maurice: Die Abenteuer der Dialektik. Frankfurt/Main 1974.
  • Vintges, Karen: Zur Ethik bei Simone de Beauvoir. 13.12.2019. Abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz/302121/zur-ethik-bei-simone-de-beauvoir (Datum des letzten Abrufs: 26.01.2022)
  • Vives, Marc-Lluís/ FeldmanHall, Oriel: Tolerance to ambiguous uncertainty predicts prosocial behavior. In: Nature Communications 9, 2018. Abrufbar unter https://doi.org/10.1038/s41467-018-04631-9 (Datum des letzten Abrufs: 26.01.2022)

Noras Linkliste:

Wie Gott uns schuf - Coming out in der katholischen Kirche: Ein Film von Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Peter Wozny, Marc Rosenthal. ARD Mediathek.


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Über diesen Podcast

Wo ist die Schamgrenze - zum Beispiel in der Sauna? Wie läuft das mit Schuld und Entschuldigung? Und darf ich eigentlich die politische und moralische Haltung von jemandem in Frage stellen? Rita Molzberger und Nora Hespers stellen sich all diese Fragen und diskutieren. Mal mehr mal weniger fachlich, aber immer auf der Suche nach Erkenntnisgewinn. Klingt bierernst, ist aber mitunter ganz schön witzig. Denn erst mal gibt es keine Denkverbote. Wir umkreisen Themen, decken auf, fragen nach, stellen Vermutungen an, sind uns oft einig - aber lernen immer wieder auch was Neues dazu. Wir haben einfach Spaß daran, laut zu denken. Denkt doch einfach 'n bisschen mit!

von und mit Nora Hespers und Rita Molzberger

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